4. Mai bis 1. Juni 1968: Bürgermeister Steiner besucht Japan - 1

Auch Bürgermeister Steiner nahm die anstrengende Reise – mit der Bahn nach Moskau – Flug nach Chabarowsk – Bahn bis Nachodka – Schiff bis Yokohama (damals die mit Abstand billigste Reise nach Japan) in Kauf, um unsere Schwesterstadt Ohasama zu besuchen.

 

Meine Japanreise - Bericht von Bürgermeister Leopold Steiner. (Gemeindekurier 7-9/1968)

Wenn ich versuchen will, über meinen Japanbesuch im Gemeindekurier auch der Berndorfer Bevölkerung zu berichten, so muss ich dies in mehreren Etappen machen und mit der Hinreise beginnen, dann den Aufenthalt in Ohasama bzw. in der Präfektur Iwate schildern und dann die Reise durch das südliche Japan mit der Hauptstadt Tokio und vor allem den Schwesterstädten österreichischer Städte den Reisereigen beenden, sowie noch einiges über die Heimreise berichten. Zur Abfahrt vom Wien-Ostbahnhof am 4. Mai, 22 Uhr wurde ich von einer Reihe von Gemeinde- und Stadträten, sowie vom Vizebürgermeister, Hofrat Dir. Petter und Stadtamtsdirektor Hauer, die meisten begleitet von ihren lieben Gattinnen, und von meiner eigenen Familie mit Kindern und Kindeskindern begleitet und herzlich verabschiedet. Dass auch der 1. Sekretär der japanischen Botschaft in Wien, Herr Kawamura mit Gattin erschienen war, zeigte, welche Bedeutung meiner Reise von japanischer Seite beigemessen wurde. Meine Reisegefährten im 2. Klasse-Schlafwagen waren zwei Italiener, von denen unsere "Rundschau" sofort wusste, dass es für mich gefährliche Kommunisten sein könnten - ich habe mich übrigens die ganze Fahrt bis Moskau sehr gut unterhalten und im Speisewagen die Mahlzeiten gemeinsam mit ihnen eingenommen.

Moskau
Der Amur bei Chabarowsk
Hafen von Nachodka

Geschlafen wurde in drei Etagen, nur konnte man von einem gesunden Schlaf kaum sprechen, weil das Rädergeratter und die Schwingungen des Waggons im Unterbewusstsein nur ein Schlummern mit halboffenen Augen zu zuließen. Dazu kamen gleich in der ersten Nacht an der tschechischen Grenze Pass- und Zollkontrollen, so dass die Nachtfahrt dadurch schon sehr unterhaltsam wurde. An der tschechisch-polnischen Grenze und an der polnisch-russischen Grenze wiederholte sich dieses Spiel. Aber man muss sagen, in sehr loyaler Weise. Besonders dann, wenn man die Papiere in Ordnung hatte. Und das war durch die Bemühungen des österreichischen Verkehrsbüros bei mir der Fall. In Brest wurden die Waggons mit Breitspur-Fahrgestellen versehen, was ungefähr 2 Stunden dauerte. Die Wagen werden mit Hilfe einer interessanten Maschinerie ca. 1 m hoch gehoben, wobei sämtliche Fahrgäste in den Waggons bleiben konnten. In Moskau, Ankunft am 6. Mai ca. 10 Uhr vormittags, wurden wir von einem Beamten der "Intourist"-0rganisation empfangen und mit Taxi in das Hotel Metropol gebracht, wo wir sämtliche Reisebillets für die Hin- und Rückfahrt ausgefolgt bekamen. Abends um 17 Uhr ging es dann per Autobus zu dem ziemlich weit außerhalb der Stadt liegenden Flugplatz.

Das Schiff
Einfahrt in den Hafen von Yokohama

Das Flugzeug, eine große, viermotorige "Illjuschin", stieg um ca. 20:30 Uhr Moskauer Zeit gegen Osten auf und befand sich ziemlich rasch in 9.000 m Höhe auf einem etwa 7.000 km langen Flug über Sibirien nach Chabarowsk im östlichen Sibirien, am riesigen Fluss Amur gelegen. Man ist dort nahe der chinesischen Grenze. Um 1 Uhr nachts (nach unseren Uhren) stand die Sonne hoch am Himmel, unter uns ein gewaltiges Wolkenmeer, nur zeitweise einen Blick in die Tiefe auf die Mutter Erde gestattend, und wo in Sibirien hohe schneebedeckte Berge und die großen Flüsse sichtbar wurden. Am Flughafen Chabarowsk mussten unsere Uhren um 8 Stunden vorgerichtet werden, damit wir wieder in Ortszeit rechnen konnten. Eine Bahnreise durch Ostsibirien brachte uns nach Nachodka, den russischen Hafen im japanischen Meer, unweit von Wladiwostok. Von dort ging es mit dem russischen Motorschiff "Chabarowsk" in einer 48-stündigen Seefahrt nach Yokohama im Pazifischen Ozean. Die Fahrt war einfach herrlich und man konnte 2 Nächte, sanft von den Wellen geschaukelt, ruhig schlafen. Bei Tag sonniges Wetter und eine kühlende Brise taten ein Übriges, um sich richtig gesund und frei zu fühlen.

Hafen von Yokohama

Viele junge Japaner waren die Reisegefährten, welche nach einem längeren Studienaufenthalt in Schweden, Deutschland und auch Österreich in ihre Heimat zurückkehrten. Auch Deutsche, Holländer und Schweden, sowie Russen waren mit von der Partie. Am 10. Mai war Yokohama in Sicht und nach einem interessanten Anlegemanöver konnte ich an der Landungsmole schon meine bekannten Freunde mit rot-weiß-roten und japanischen Fahnen winken sehen. Bürgermeister Murata, Fräulein Mieko, Yahaba, Debori, Reporter Baba und mehrere Gemeinderäte empfingen mich freundschaftlichst und wir fuhren gleich mit Taxis nach Tokio zur österreichischen Botschaft auf einen kleinen Plausch und dann ins Hotel, um am Morgen des 11. Mai mit dem Schnellzug nach Morioka zu fahren (ca. 600 km).

Begrüßung in Tokio
Am Bahnhof in Morioka

Die Waggons sind mit Klimaanlagen ausgestattet und man reist sehr bequem. Der Speisewagen sorgt für leibliche Bedürfnisse auf japanische Art. Man sieht auf der Strecke interessante, typisch japanische Häuser. Viele Reisfelder werden von fleißigen Leuten mit Gummistiefel im Schlamm stehend, bearbeitet. Autos flitzten auf den Straßen geschäftig dahin so dass die Zeit nicht lang wird. Am Nachmittag ist Morioka erreicht, wo uns wieder Leute aus Ohasama erwarten, um uns mit dem gemeindeeigenen Wagen nach Ohasama zu bringen. Auch Frau Murata und die kleine Misa sind in unserem Auto. Die Fahrt geht sehr schnell vor sich und an Schiwa, dem Geburtsort Mieko's vorbei, kommen wir am späten Nachmittag nach Ohasama, wo uns eine riesige Menschenmenge auf der Strasse empfing. Erwachsene, Bergsteiger in Dress, Gemeinderäte, alle jubelten uns fähnchenschwenkend zu. Ich fühlte mich wie unter alten Bekannten.

In den Straßen von Ohasama
Viele Menschen sind zum Empfang gekommen
Empfang von Bürgermeister Steiner in Ohasama

Viele Blumen als Gruß
Haus vom Bürgermeister

Nach der offiziellen Begrüßungsansprache durch Bürgermeister Murata vor der versammelten Bevölkerung von Ohasama, sprach auch ich Worte der Begrüßung an die Einwohner unserer Schwesterstadt. Diese Ansprache wurde von Frl. Mieko in die japanische Sprache übersetzt. Nach der persönlichen Vorstellung des Gemeindepersonals und der Gemeinderäte ging es in das Haus von Bürgermeister Murata, wo ich während des 10-tägigen Aufenthaltes in Ohasama, bzw. in der Präfektur Iwate wohnen sollte. Die Aufnahme war äußerst herzlich und ich wurde von der Mutter Muratas, sowie der Tante und der Frau Murata, namens Yasuko, den vier Kindern, Misa, ein Mädchen von 5 Jahren, Seichi, ein Knabe von 8 Jahren, Eisaku, ein 14-jähriger Knabe und von Machi, der 16-jährigen Tochter begrüßt und in den Familienverband aufgenommen. Vor dem Betreten des Hauses mussten die Schuhe ausgezogen und in bereitgestellte Pantoffel geschlüpft werden. Das Wohn- bzw. Schlafzimmer wird nur in Socken betreten. Der Bodenbelag besteht dort aus einer 1 cm dicken, geflochtenen Bastmatte. Abends gab es ein festliches Mahl, zu dem Honoratioren, wie der Doktor, der Postdirektor, die Schuldirektoren und leitende Gemeindebeamte, sowie verwandte Angehörige der großen Familie Murata geladen waren. Gegessen wird an niedrigen Tischen und man sitzt auf Polstern, die Beine im Türkensitz gekreuzt, was für mich als "Anfänger" gar nicht leicht war.

Auch das Essen mit 2 Holzstäbchen in der rechten Hand ist gar nicht einfach. Das Essen besteht aus vielen Gängen, wobei roher Fisch in Scheiben, rohes Gemüse, Krebsteile, gebratener Fisch, auch Portionen Brathühner, viel Reis, abwechselnd Suppen verschiedener Art (in Schalen) und auch Obst serviert wird. Die Frau des Hauses und weibliches Bedienungspersonal kredenzen die Speisen und Getränke kniend. Als Tafelgetränk bekommt man Bier, welches sehr gut schmeckt und Reiswein (Sake), welcher warm aus flachen Schalen getrunken wird. Auch Edelwein aus Ohasama wurde getrunken. Abschließend gibt es immer heißen Tee grünlicher Färbung, ungezuckert. Die japanische Kost ist sehr bekömmlich. Dieser 1. Abend war sehr unterhaltsam, gesprochen wurde meist japanisch, deutsch und auch teilweise englisch und ich fühlte mich schon wie zu Hause. Am nächsten Tag, es war Sonntag der 12. Mai, besichtigten wir einen Sportplatz, wo Bürgermeister Murata und ich einen Wettkampf in Baseball eröffneten.

Baseball
Baseball
Bei den Feldern
Im Weingarten
Bauernhof
Im Krankenhaus

Weiters wurde uns die Tabakfabrik von Ohasama gezeigt und auch die Tabakfelder wurden besichtigt. Auch Wein- und Obstgärten waren das Ziel unserer Besichtigungsfahrt an diesem Sonntagvormittag. Nach dem Mittagessen in einem Gasthaus wurde das Krankenhaus und die Geburtenklinik von Ohasama aufgesucht und anschließend die Trinkwasser-Versorgungsanlage gezeigt. Mit dem Gemeindeauto ging es nachmittags zu einem Shinto-Schrein, wo wir einer priesterlichen Zeremonie beiwohnten und wo anschließend neben dem Schrein interessante, sogenannte Kagura-Tänze, vorgeführt wurden.

Bei der Kagura Tanzhalle

Weiter ging die Fahrt zu einem Berghotel am Fuße des Berges Hayachine, wo uns die Bergsteiger von Ohasama und die zehn Bergsteiger, welche im Jahre 1966 in Berndorf waren, erwarteten und wo wir einen gemütlichen Abend mit Erinnerungen an Berndorf verbrachten. Es wurden verschiedene Bergsteigerlieder gesungen, viele in deutscher Sprache und auch das Lied vom Hayachine, welches Bürgermeister Murata gedichtet und komponiert hat, dieses allerdings in japanischer Sprache. Der Verlauf dieses Abends wurde auf einem Tonband aufgenommen. Übernachtet wurde in diesem Berghotel (Honanso Hütte).

Ankunft bei der Honanaso-Hütte
Die Bergsteiger, die 1966 in Berndorf waren
Die Bergsteiger aus Ohasama
Mieko-san muss wieder viele Reden übersetzen
Das Personal der Hütte
Verabschiedung
Abfahrt im Regen

Am nächsten Morgen ging es bei strömendem Regen zurück nach Ohasama, wo um 10 Uhr vormittags des 13. Mai in einer Turnhalle 300 Mann der Feuerwehr zum Empfang angetreten waren. Ansprachen und Auszeichnungen zeigten auch hier von der Verbundenheit der beiden Städte Ohasama und Berndorf. Am Nachmittag war großer Empfang im Saal eines neu erbauten Lagerhauses in Ohasama, wo die Bürger von Ohasama anwesend waren und wo anlässlich meines Besuches eigenartige Tänze in einmaliger Form durch Mädchen jeden Alters vorgeführt wurden. Die Begleitmusik hiezu wurde auf typisch japanischen Saiteninstrumenten vorgetragen. Die Musikkapelle der Highschool intonierte mehrere flotte Märsche, sowie die österreichische und die japanische Nationalhymne. Abends war wieder ein gemütliches Beisammensein im Kreise der sehr musikalischen Familie Murata.

Feuerwehr
Feuerwehr
Ansprache von Bgm. Steiner
Empfang in der Veranstaltungshalle des Lagerhauses von Ohasama

Am nächsten Tag, den 14. Mai waren das Ziel unserer Besuche die Kindergärten und die verschiedenen Schulen, von der Elementarschule bis zur Hauptschule und mittleren und höheren Schulen, wo uns überall ein herzlicher Empfang bereitet wurde und in deutscher Sprache begrüßt wurde. Alle Schüler sind uniformiert.

Kindergarten
Volksschule
Highschool
Schüler der Highschool

Am Nachmittag, den 14. Mai gab es einen Empfang beim Gouverneur und beim Bürgermeister von Morioka, der Hauptstadt der Iwate-Präfektur. Es wurden schöne Geschenke übergeben und ein angeregter, interessanter Meinungsaustausch geführt. Auch dem japanischen Fernsehen sowie der Zeitung "Iwate-Nippo" wurde ein Besuch abgestattet. Abends waren wir im Grand-Hotel beim Vize-Gouverneur von Morioka zu Gast, wo eine erlesene Tafel für unser leibliches Wohl sorgte und wo eine ausgezeichnete Dolmetscherin eine interessante Unterhaltung vermitteln konnte. Der Gastgeber sagte: "Es war ein selten schöner Abend."

Regierungsgebäude der Präfektur Iwate
Besuch beim Bürgermeister der Stadt Morioka
Im Fernsehstudio
Beim Gouverneur
Im Grand-Hotel

Am nächsten Tag (15. Mai) konnten wir die neue, modernst eingerichtete Stadtbibliothek von Morioka besichtigen, wo die Tante von Bürgermeister Murata als langjährige Angestellte tätig ist. Nachher waren wir im Fernsehstudio von Morioka verabredet, um in einem Fernseh-Interview vor der japanischen Öffentlichkeit aufzutreten. Von dieser Sendung habe ich eine schöne Farbfotographie bekommen. Von Morioka ging es wieder in die Iwate-Landschaft hinaus und zwar nach Koiwai, einem großen landwirtschaftlichen Gutsbesitz, welcher auf genossenschaftlicher Basis verwaltet wird. Die Erzeugnisse, wie Käse, Yoghurtmilch, Eier, Butter, Brat- und Backhühner und Würste werden in weite Gebiete Japans versendet.

Bei der Koiwai-Farm

 

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